Gebrauchswertbedingungen

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Der allgemeine Warentausch

Bei dem Begriff „Warentausch“ denken die meisten an Naturalientausch, also z.B. 100 kg Kartoffeln gegen 100 kg Möhren, aber auch 1 m³ Holz gegen 10 kg Kartoffeln, 1 Paar Schuhe gegen 1 Rock. Da Geld aber genauso ein menschliches Produkt ist, wie jedes andere Produkt, ist der Tausch „Ware gegen Geld“ letztendlich genauso ein Warentausch, wie der Naturalientausch. Bevor wir aber auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Tausch „Ware gegen Ware“ und „Ware gegen Geld“ eingehen, wollen wir zunächst den Tausch „Ware gegen Ware“ näher untersuchen, um später die Besonderheiten des Tauschs „Ware gegen Geld“ zu erörtern.

Als erstes überführen wir die einzelnen Waren (Äpfel, Birnen, Kartoffeln, Möhren, Kaminholz, Schuhe) in ihre allgemeine Form. Zu einem Apfel können wir auch Warenmenge W1 sagen, zu einer Birne Warenmenge W2. Wenn man 1 Apfel gegen 1 Birne tauscht, kann man dies als Tausch von Ware W1 gegen Ware W2 bezeichnen. Um uns in Zukunft die viele Schreiberei etwas zu erleichtern, wird der Warentausch durch W1 ⇔ W2 dargestellt.

Des weiteren muß immer wieder betont werden, daß zu jedem Warentausch 2 Warenbesitzer gehören. Um nicht jeden einzelnen Bäcker, Fleischer, Klempner, Elektriker zu benennen, nennen wir sie einfach: Produzent A und Produzent B. Vor dem Tausch ist Produzent A Besitzer von Ware W1, Produzent B Besitzer von Ware W2. Nach dem Tausch ist Produzent A Besitzer von Ware W2 und Produzent B Besitzer von Ware W1.

Abbildung: Allgemeiner Warentausch

Dieser Sachverhalt kann auch anhand einer Tabelle verdeutlicht werden:

Produzent A Produzent B
vor dem Warentausch Ware 1 Ware 2
nach dem Warentausch Ware 2 Ware 1

Tabelle: tabellarische Darstellung eines allgemeinen Warentausches

Der gegenläufige Doppelpfeil „⇔“ in W1 ⇔ W2 zeigt den Austausch der beiden Waren an. Ware W1 wechselt von Produzent A zu Produzent B, Ware W2 von Produzent B zu Produzent A. Die Darstellung W1 ⇔ W2 stellt Besitzverhältnisse an den Waren vor dem Warentausch dar, wobei implizit angenommen wird, daß die linke Seite zu Produzent A gehört, die rechte Seite zu Produzent B.

Was mit W1 ⇔ W2 nicht mehr dargestellt werden kann, ist der Zustand nach dem Warentausch, wo sich W1 auf der rechten Seite bei Produzent B und W2 auf der linken Seite bei Produzent A befindet. Aber ich glaube, daß jeder meiner Leser genug Vorstellungskraft hat, den zeitlichen Ablauf eines Tauschvorganges geistig nachzuvollziehen und die jeweiligen Besitzverhältnisse vor und nach dem Warentausch richtig zuordnen kann.

Weiter oben hatten wir festgestellt, daß auch Geld eine Ware ist, sein muß. Wie es zu der Aufspaltung des Warentausches W1 ⇔ W2 in die beiden Teilvorgänge W1 ⇔ G (Verkauf) und G ⇔ W2 (Kauf) kommt, werden wir erst später untersuchen, wenn die Besonderheit der Ware „Geld“ ausreichend definiert wurde.

Untersuchen wir nunmehr die Voraussetzungen, unter denen Waren getauscht werden. Wie wir gesehen haben, hatte der eine Bauer das Mehrprodukt in Form von 100 kg Kartoffeln nicht unmittelbar gebraucht. Der Gebrauchswert dieses Produktes beträgt für ihn deshalb 0. Auf der anderen Seite haben diese Kartoffeln aber für den Möhrengärtner einen Gebrauchswert, sonst würde er sie nicht haben, sprich tauschen wollen. Bei dem Mehrprodukt der 100 kg Möhren ist es ähnlich. Sie haben für ihren Produzenten keinen Gebrauchswert, dafür aber für den Bauern. Da es sich also insgesamt um 4 Gebrauchswerte (jeweils 2 Gebrauchswerte pro Ware, nämlich einmal für Produzent A und einmal für Produzent B) handelt, können wir diese in einer Gebrauchswert-Matrix darstellen.

vor dem Austausch Person A Person B
Kartoffeln 0 1
Möhren 1 0

Tabelle: spezielle Gebrauchswert-Matrix

Wie liest man diese Matrix? Die Kartoffeln haben für Produzent A den Gebrauchswert 0, aber für den Produzent B den Gebrauchswert 1. Des Weiteren haben die Möhren für den Produzent B den Gebrauchswert 0 und für Produzent A den Gebrauchswert 1.

In der allgemeinen Form, um die wir uns ja immer bemühen, um jeden x-beliebigen Warentausch zu verstehen, lautet die Gebrauchswert-Matrix:

Person A Person B
Ware W1 g(W1, A) g(W1, B)
Ware W2 g(W2, A) g(W2, B)

Tabelle: allgemeine Gebrauchswertmatrix

Wie ist die symbolische Darstellung des Gebrauchswertes g(W1, A) zu übersetzen? g(W1, A) ist der Gebrauchswert der Ware W1 für Produzenten A und kann die Werte „hat“ oder „hat nicht“, ja oder nein, wahr oder falsch annehmen. Um es mathematisch zu vereinfachen, verwenden wir auch die Kodierung 1 oder 0. g(W1, B) ist dann der Gebrauchswert von Warenmenge W1 für Herrn B, g(W2, A) ist der Gebrauchswert von Warenmenge W2 für Herrn A und g(W2, B) ist der Gebrauchswert von Warenmenge W2 wieder für Herrn B.

Untersuchen wir die Bedingungen, welche zum Warentausch führen, im Einzelnen.

Gebrauchswertdifferenz

Person A tauscht seine Ware W1 nur dann gegen die Ware W2, wenn W2 für ihn einen größeren Gebrauchswert hat, als die eigene Ware W1. Beispiel: Ein Bäcker wird sein Brot nur dann gegen die Wurst vom Fleischer tauschen, wenn die Wurst für ihn einen größeren Gebrauchswert hat, als sein eigenes Brot. Das Gleiche gilt natürlich auch für den Fleischer.

vor dem Austausch Bäcker Fleischer
Brot (= W1) 0 1
Wurst (= W2) 1 0

Tabelle: Darstellung einer speziellen Gebrauchswertdifferenz

Mathematisch kann diese Bedingung wie folgt ausgedrückt werden:

Wenn g(Wurst, Bäcker) > g(Brot, Bäcker) dann Warentausch möglich.

Lies: Der Bäcker tauscht nur dann sein Brot gegen Wurst, wenn für ihn der Gebrauchswert der Wurst größer ist als der seines Brotes.

Allgemein läßt sich schreiben:

Wenn g(W2, A) > g(W1, A) dann Warentausch möglich

Lies: Der Gebrauchswert von Ware W2 ist für Person A größer als der Gebrauchswert der Ware W1.

Bitte beachten Sie, daß es sich bei den Operatoren < und > um Vergleichsoperationen handelt. Der Vergleich „g(W2, A) > g(W1, A)“ liefert dann den Wert „wahr“, wenn der Gebrauchswert von Ware W2 für A (also die Wurst für den Bäcker) tatsächlich größer ist, als der Gebrauchswert von Ware W1 (also das eigene Brot).

Es könnte aber auch der Fall eintreten, daß das Brot für den Bäcker einen höheren Gebrauchswert hat, als die Wurst vom Fleischer. Dann liefert die Vergleichsoperation „g(W2, A) ≥ g(W1, A)“ den Wert „falsch“, denn 0 ist nicht größer oder gleich 1. Wenn die Gebrauchswert-Differenz für den Bäcker nicht erfüllt ist (also = 0 oder falsch ist), wird er sein Brot im Allgemeinen nicht gegen die Wurst des Fleischers tauschen.

Da zu einem Warentausch immer 2 Personen und 2 Waren gehören, muß das, was für den Bäcker gilt, natürlich auch für den Fleischer gelten.

Wenn g (Brot, Fleischer) ≥ g (Wurst, Fleischer) dann Warentausch möglich

Lies: Der Fleischer tauscht nur dann seine Wurst gegen Brot, wenn für ihn der Gebrauchswert des Brotes größer ist als der seiner Wurst.

und allgemein:

Wenn g(W1, B) > g(W2, B) dann Warentausch möglich

Damit haben wir die beiden Tauschbedingungen der Gebrauchswert-Differenzen.

Da es sich bei beiden Bedingungen um logische Vergleiche handelt, und beide zusammenhängen, können sie mit dem logischen UND miteinander verbunden werden.

Wenn g(W2, A) > g(W1, A) & g(W1, B) > g(W2, B) dann Warentausch möglich

„&“ symbolisiert eine logische UND-Verknüpfung

Liefern die beiden Bedingungen g(W2, A) > g(W1, A) und g(W1, B) > g(W2, B) als Ergebnis den Wert „wahr“, kommt ein Tausch der beiden Waren in Betracht. Wieder die „kann“-Form, weil noch weitere Bedingungen fehlen. Liefert allerdings eine der beiden Bedingungen das Ergebnis den Wert „falsch“, dann wird im Allgemeinen auch kein Warentausch stattfinden.

Schaut man in die Gebrauchswertmatrix, dann sind die Gebrauchswertdifferenzen die zeilenweisen Unterschiede der Gebrauchswerte von Ware W1 und W2 pro Person.

vor dem Austausch Person A Person B
Ware W1 g(W1, A) g(W1, B)
Ware W2 g(W2, A) g(W2, B)
Tauschbedingungen der Gebrauchswert-differenzen g(W2, A) > g(W1, A) g(W1, B) > g(W2, B)

Tabelle: Darstellung der Gebrauchswertdifferenz in der GW-Matrix

Für Person A gilt: Wenn g(W2, A) > g(W1, A) dann Warentausch möglich.

Für Person B gilt: Wenn g(W1, B) > g(W2, B) dann Warentausch möglich.

Zitat: „Seine Ware hat für ihn keinen unmittelbaren Gebrauchswert. Sonst führt er sie nicht zu Markt. Sie hat Gebrauchswert für andere. Darum will er sie veräußern für Ware, deren Gebrauchswert ihm Genüge tut. Alle Waren sind Nicht-Gebrauchswerte für ihre Besitzer, Gebrauchswerte für ihre Nicht-Besitzer.“ KM1, S. 100

Gebrauchswertinversion

Die Gebrauchswertdifferenzen drücken die unterschiedlichen Gebrauchswerte der Waren pro Person aus und ergaben sich im zeilenweisen Vergleich der Gebrauchswerte pro Person. Was für die zeilenweise Betrachtung gilt, muß natürlich auch für die spaltenweise Betrachtung der Gebrauchswerte gelten. Das heißt, hat die Ware W1 auch unterschiedliche Gebrauchswerte für die Personen A und B. Diesen Gebrauchswertunterschied nennen wir Gebrauchswertinversion.

Veranschaulichen wir uns diese Bedingung wieder anhand einer Tabelle:

Person A Person B Gebrauchswertinversion
Ware W1 g(W1, A) g(W1, B) g(W1, B) > g(W1, A)
Ware W2 g(W2, A) g(W2, B) g(W2, A) > g(W2, B)

Tabelle: Gebrauchswertinversion

Während die Gebrauchswertdifferenz die Perspektive von Person A (oder B) auf die beiden Waren W1 und W2 widerspiegelt, stellt die Gebrauchswertinversion den Unterschied der Gebrauchswerte einer Ware in Bezug auf die beiden Tauschpartner dar.

Förderliche Gebrauchswertinversion

Beispiel: Wenn das Brot für den Bäcker keinen Gebrauchswert hat, aber für den Fleischer, dann handelt es sich um eine Gebrauchswertinversion und für den Bäcker kommt ein Warentausch in Betracht. Die gleiche Bedingung sollte natürlich auch für den Fleischer gelten. Wenn die Wurst für den Fleischer keinen Gebrauchswert hat aber einen für den Bäcker, dann handelt es sich um eine Gebrauchswertinversion und auch für den Fleischer kommt ein Tausch der beiden Waren in Betracht.

vor dem Austausch Bäcker Fleischer Gebrauchswert-inversion
Brot 0 1 1 > 0
Wurst 1 0 1 > 0

Tabelle: Darstellung einer förderlichen Gebrauchswertinversion

Hemmende Gebrauchswertinversion

Beispiel: Angenommen der Gebrauchswert des Brotes ist für den Bäcker größer als für den Fleischer, g(Brot, Bäcker) ≥ g(Brot, Fleischer), dann wird das Brot wahrscheinlich beim Bäcker bleiben.

vor dem Austausch Bäcker Fleischer
Brot 1 0
Wurst 0 1

Tabelle: Darstellung einer hemmenden Gebrauchswertinversion

Daraus lassen sich ganz einfach die allgemeinen Bedingungen der Gebrauchswertinversion ableiten:

Für Person A gilt: Wenn g(W1, B) > g(W1, A) dann Warentausch möglich.

Für Person B gilt: Wenn g(W2, A) > g(W2, B) dann Warentausch möglich.

Eine Ware wechselt also nur dann ihre Besitzer, wenn der Gebrauchswert der Ware für den anderen größer ist, als für einen selber.

Wenn g(W1, B) > g(W1, A) dann Warentausch möglich

Da diese Bedingung auch wieder für den anderen Warenbesitzer gelten muß, heißt die zweite Vergleichs-Bedingung:

Wenn g(W2, A) > g(W2, B) dann Warentausch möglich

Lies: Die Personen A und B tauschen nur dann die beiden Waren W1 und W2 gegeneinander, wenn die jeweilige Ware für den anderen Tauschpartner einen größeren Gebrauchswert hat als für einen selber.

Werden beide Vergleichsbedingungen wieder mit einen logischen UND verknüpft

Wenn g(W1, B) > g(W1, A) & g(W2, A) > g(W2, B) dann Warentausch möglich

erhält man die Tauschbedingung der gekoppelten Gebrauchswertinversionen.

Diese Bedingung ist etwas schwerer zu verstehen. Sie ist aber genauso eine Voraussetzung für den Warentausch, wie die Bedingung der gekoppelten Gebrauchswertdifferenzen.

Beim Blick auf die Gebrauchswert-Matrix erkennt man, daß die Gebrauchswert-Inversion einen spaltenweisen Unterschied der Gebrauchswerte pro Ware aufweisen muß.

Vollständige Gebrauchswertmatrix

Fügen wir die Vergleichsbedingungen in die Gebrauchswertmatrix ein, sieht diese wie folgt aus:

Person A Person B Gebrauchswertinversionen
Ware W1 g(W1, A) g(W1, B) g(W1, B) > g(W1, A)
Ware W2 g(W2, A) g(W2, B) g(W2, A) > g(W2, B)
Gebrauchswert-differenzen g(W2, A) > g(W1, A) g(W1, B) > g(W2, B)

Tabelle: Erweiterte Gebrauchswert-Matrix (allgemein)

Vor dem gegenseitigen Austausch ihrer Waren prüfen die beiden Warenbesitzer also alle 4 Bedingungen:

Tauschbedingung Ergebnis für A Ergebnis für B
g(W2, A) > g(W1, A)  ?
g(W1, B) > g(W2, B)  ?
g(W1, B) > g(W1, A)  ?
g(W2, A) > g(W2, B)  ?

Tabelle: Die Tauschbedingungen eines Warentausches

Nur wenn alle 4 Gebrauchswertvergleiche als Ergebnis den Wert „wahr“ liefern, wird es zu einem Austausch der beiden Waren kommen.

Mathematisch müssen also alle 4 Vergleichsbedingungen mit der logischen UND-Operation verbunden werden, so daß die gebrauchswertbasierten Tauschbedingungen wie folgt geschrieben werden können:

Wenn

Gebrauchswertdifferenz und Gebrauchswertinversion
g(W2, A) > g(W1, A)   &    g(W1, B) > g(W2, B) & g(W1, B) > g(W1, A)   &    g(W2, A) > g(W2, B)

dann Warentausch möglich.

Also nur wenn alle 4 Bedingungen mit „ja“ beantwortet werden, werden sich die beiden Warenbesitzer zum Austausch ihrer Waren entscheiden. Ist eine (oder mehrere) der 4 Bedingungen falsch, dann wird es auch nicht zum Austausch der Waren kommen.

Unscharfe Gebrauchswerte

Bisher sind wir davon ausgegangen, daß die Gebrauchswerte einer Ware nur die beiden Zustände „hat“ oder „hat nicht“, 1 oder 0 annehmen kann. Wie sie aus ihrem täglichen Leben aber selbst wissen, kann man einen Gegenstand aber auch „nur zum Teil“ oder „nur ein bisschen“ gebrauchen. Statt dem polarisierenden „Entweder-Oder“ gibt es im praktischen Leben immer auch gewisse Übergänge. Lassen Sie uns alle möglichen Zwischenstufen mit Zahlen größer 0 oder kleiner 1 codieren. „Ein bisschen“ könnte dann z.B. den Wert 0,5 haben. Das widerspricht zwar der Definition des Gebrauchswertes, kommt aber den heutigen Situationen in einer Überflußgesellschaft näher.

Selbst mit dieser Aufweichung der Gebrauchswertdefinition behalten die gebrauchswertbasierten Tauschbedingungen ihre Gültigkeit.

Gehen wir diesen Ansatz mal praktisch durch. So ganz unbrauchbar möge das Brot für den Bäcker dann doch nicht sein, sagen wir also g(Brot, Bäcker) = 0,5. Auch der Fleischer könnte seine Wurst noch am nächsten Tag essen, also g(Wurst, Fleischer)=0,5. Der Bäcker möchte aber unbedingt ein Stück Wurst auf sein Brot, also g(Wurst, Bäcker) = 1, ebenso möchte der Fleischer zu seiner Wurst ein Stück Brot, also g(Brot, Fleischer) = 1. Die Gebrauchswertmatrix lautet also wie folgt:

vor dem Austausch Bäcker Fleischer
Brot 0,5 1
Wurst 1 0,5

Tabelle: Gebrauchswertmatrix mit unscharfen Werten

Wie sehen die Ergebnisse für die Prüfung der Gebrauchswertdifferenzen und –inversionen aus?

Tauschbedingung Ergebnis für A Ergebnis für B
g(W2, A) > g(W1, A) wahr
g(W1, B) > g(W2, B) wahr
g(W1, B) > g(W1, A) wahr
g(W2, A) > g(W2, B) wahr

Tabelle: Matrix der Tauschbedingungen

Sie sehen auf einen Blick, alle 4 Bedingungen sind erfüllt, der Tausch könnte also vollzogen werden, wenn Bäcker und Fleischer es wollen. Und damit kommen wir zur letzten, nahezu alles entscheidenden Bedingung für den Vollzug eines Warentausches: dem persönlichen Willen.

Der persönliche Wille

Selbst wenn alle oben genannten Bedingungen erfüllt sind, kann uns der persönliche Wille noch einen Strich durch die Rechnung machen. Angenommen, irgendeine Ware befriedigt irgendeines Ihrer Bedürfnisse, die Ware hat für Sie zweitens einen höheren Gebrauchswert als jene Ware die Sie dagegen eintauschen müßten (Bedingung der Gebrauchswertdifferenzen), drittens hat die Ware für Sie einen höheren Gebrauchswert als für Person B (die Bedingung der Gebrauchswertinversion), so könnte Ihr persönlicher Wille immer noch „Nein“ sagen. Dann bleibt das Brot beim Bäcker oder die Wurst beim Fleischer. Das gleiche gilt übrigens auch wieder für den Tauschpartner B. Auch wenn dieser seine Ware nicht gegen ihre Ware eintauschen will, kommt kein Warentausch zustande.

Die mathematische Formulierung dieser Tauschbedingung kann folgendermaßen erfolgen. Der Wille von Produzent A kann mit einer booleschen Variablen abgebildet werden: für „will nicht“ = 0, für „will“ = 1. Auch hier vergeben wir für die Größe „Willen“ ein mathematisches Symbol Y und indizieren es wieder mit A und B für die Personen A und B. Dann lautet die willensbezogene Tauschbedingung

Wenn YA & YB = 1 dann Warentausch möglich!

Der vollständige Bedingungssatz für den Warentausch lautet nunmehr:

Wenn

Gebrauchswertdifferenz und Gebrauchswertinversion und kongruenter persönlicher Wille
g(W2, A) > g(W1, A)   &    g(W1, B) > g(W2, B) & g(W1, B) > g(W1, A)   &    g(W2, A) > g(W2, B) &  YA & YB = 1

dann Warentausch!.

 

Nun werden Sie sagen, daß das zwar theoretisch stimmen mag, aber in Praxi niemals alle 6 Bedingungen vor einem Warentausch geprüft werden. Ich behaupte: Doch! Vor jedem Brötchen, was sie beim Einkaufen in den Korb legen, prüfen Sie alle 6 Bedingungen. Diese Operationen laufen völlig unbewußt ab, aber jeder geht diese Tauschbedingungen vor dem Tausch (Einkauf) im Kopf durch.

Probieren Sie ruhig ein paar Beispiele aus. Nehmen Sie ein paar Waren aus ihrem unmittelbaren Umfeld, vergeben dann individuelle, warenbezogene Gebrauchswerte im Wertebereich [0,1] (lies: geschlossenes Intervall von 0 bis 1 unter Einschluß der Randwerte 0 und 1) und prüfen Sie dann die gebrauchswertbasierten Tauschbedingungen. Zum Schluß müssen Sie nur noch entscheiden, ob Sie den Warentausch vollziehen wollen oder nicht.

Anmerkung: Daß diese ganzen Vergleichsoperationen im Hinterkopf ablaufen, bekommt man noch am ehesten bei einem Handel auf einem türkischen Basar mit. Sind alle Bedingungen erfüllt, dann kaufen Sie den Goldring oder die Rolex-Uhr. Ist eine der Bedingungen nicht erfüllt, dann verlassen Sie den Stand ohne etwas zu kaufen. Dort kommen diese Vergleichsoperationen also noch am ehesten bis kurz vor das Bewußtsein. Sie vollführen diese Operationen aber auch bei jedem Einkauf im Kaufhaus! Stellen Sie sich beim nächsten Einkauf mal ganz bewußt vor irgendeinen Artikel und gehen dann in Gedanken durch: brauch ich das jetzt oder nicht. Sie können getrost davon ausgehen, daß sämtliche Artikel in den Regalen des Kaufhauses für das Kaufhaus (oder seinen Besitzer) keinen Gebrauchswert haben, sonst würden sie nämlich nicht in den Regalen stehen. Zwei der 4 Tauschbedingungen sind also schon erfüllt, sozusagen die Spalte von „Person B“, die in diesem Fall den Kaufhausbesitzer repräsentiert. Ersetzen Sie W1 durch G (für Geld) und W2 durch Wx (also irgendeine Ware, die Sie gerade kaufen möchten), dann werden alle Tauschbedingungen von B wahr und nur noch Sie müssen entscheiden, ob Sie Wx kaufen wollen oder nicht.

Zitat: „Um die Dinge als Waren aufeinander zu beziehen, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in den Dingen hause, so daß der eine nur mit dem Willen des anderen, also jeder nur vermittels eines, beiden gemeinsamen Willensaktes sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigene veräußert.“ KM1, S. 99

Zusammenhang zwischen Gebrauchswert und Tauschwert

Da der Warentausch immer von 2 Personen abhängt, ist bei jedem Warentausch immer eine Unbekannte im Spiel: nämlich der Tauschpartner. Als aller Erstes hängt es vom Bedürfnis des Tauschpartners ab, ob er mein Produkt gebrauchen kann oder nicht, ob es für ihn einen Gebrauchswert hat oder nicht. Dann müssen noch die Bedingungen der Gebrauchswertdifferenzen und der Gebrauchswertinversionen erfüllt sein, damit zwischen ihm und mir ein Warentausch zustande kommt. Die Gebrauchswertdifferenzen und –inversionen hängen von den ganz individuellen persönlichen Gebrauchswerten der Waren ab, so daß auch diese Bedingungen reine subjektive und individuelle Ergebnisse liefern. Obwohl sich die Wenigsten darüber bewußt sind, werden diese Bedingungen bei jedem Warentausch neu berechnet. Und wenn man eine Ware gestern gebraucht hat, muß das noch lange nichts für die Zukunft heißen. Heutzutage manifestiert sich dieser Zusammenhang meistens nur in den beiden Extrempunkten: kauf ich, oder kauf ich nicht. Vielleicht wird die Sache deutlicher, wenn wir erst einmal diese beiden Extrempunkte untersuchen.

Extrempunkt 1: Der Bäcker braucht den Kerzenständer nicht! In diesem Fall ist es ziemlich eindeutig: der Gebrauchswert des Kerzenständers ist für den Bäcker gleich null. Entweder er braucht den Kerzenständer zur Zeit nicht, überhaupt nicht, oder vielleicht erst später. Trotzdem kommt der Tauschvorgang Kerzenständer D Brot nicht zustande. Der Drechsler kann sein Produkt, welches er ohnehin nur für den Austausch gegen ein anderes Produkt hergestellt hatte und welches somit von vornherein zur Ware werden sollte, nicht verwerten.

Was heißt verwerten? Der Drechsler kann die Arbeitszeit, welche in dem Kerzenständer steckt, mithin dessen Produktwert, nicht gegen den Produktwert von 350 g Brot tauschen. Da der Bäcker den Kerzenständer nicht braucht, bleibt das Brot beim Bäcker.

Der Tauschwert des Kerzenständers ist in Bezug auf den Bäcker also Null, weil die Beziehung τ(Kerzenständer) = p(Brot) nicht zustande kommt.

Die Arbeitszeit, die er zur Herstellung seiner Ware gebraucht hat, wird also vom Bäcker nicht anerkannt. Im schlimmsten Fall hat er umsonst gearbeitet. Erst wenn wirklich alle Mitglieder einer Gesellschaft sagen: „Nein, diese Ware brauchen wir nicht.“ ist der gesellschaftliche Tauschwert des Kerzenständers wirklich Null. Sobald aber ein einziger kommt und sagt: „Ich brauche diesen Kerzenständer“ und bereit ist, den Kerzenständer gegen eine andere Warenmenge zu tauschen, kann der Drechsler den Produktwert seines Kerzenständers gegen den Produktwert einer anderen Ware tauschen, somit verwerten.

Mathematisch könnte man diesen Zusammenhang ganz vorsichtig wie folgt formulieren:

Tauschwert des Kerzenständers = Gebrauchswert für Bäcker * Produktwert des Kerzenständers, oder allgemein

τA = Determinante der Gebrauchswertmatrix * pE

Der Index A steht hier für „ausgetauschte“ Ware oder Waren-Ausgang, also jene Ware, die weggegeben wird.

Was ist die Determinante einer Matrix? Die Determinante einer Matrix ist das Produkt der Hauptdiagonalenelemente minus Produkt der Nebendiagonelenelemente, also a11*b22 – a12*b21 (Bedeutung der Indizierung: erste Ziffer für Zeile, zweite Ziffer für Spalte)

Erinnern wir uns an die Darstellung der individuellen Gebrauchswerte in der Gebrauchswertmatrix:

Drechsler Bäcker
Kerzenständer 0 0
Brot 1 0

Die Determinante der Gebrauchswertmatrix wird Null (0*0 – 0*1 = 0), so daß auch der Tauschwert des Kerzenständers Null wird.

Das Gleiche gilt übrigens auch für den Bäcker, auch er kann den Produktwert des Brotes nicht gegen den Produktwert des Kerzenständers verwerten.

Extrempunkt 2: Bäcker braucht 2 Kerzenständer. Bitte überlegen Sie selbst. Ändert die höhere Nachfrage etwas am Produktwert des einen Kerzenständers? Eigentlich nicht, oder? Der Drechsler könnte höchstens versuchen, statt der produktwertäquivalenten Menge iHv 350 Gramm Brot, 500 g rauszuschlagen. Aber würde das, der Gerechtigkeit liebende Bäcker mitmachen zumal er am Ende trotzdem nur einen Kerzenständer hat? Eher nicht. Der Drechsler könnte höchstens noch einen zweiten Kerzenständer herstellen und beide dann gegen 700 Gramm Brot tauschen.

Extrempunkt 3: Bäcker und Fleischer wollen den Kerzenständer haben. Auch hier übersteigt die Nachfrage das Angebot. Am Produktwert des Kerzenständers ändert sich auch diesmal nichts. Der Drechsler kann höchstens versuchen, für den Produktwert iHv 1 h 10 min für seinen Kerzenständer eine größere Warenmenge Brot mit einem höheren Produktwert als für seinen Kerzenständer zu bekommen, sagen wir 500 Gramm. Er könnte Bäcker und Fleischer auch gegeneinander ausspielen und seinen Kerzenständer meist bietend verkaufen, sagen wir gegen 600 Gramm Brot oder 100 Gramm Wurst, je nachdem, wer von beiden bereit ist, einen höheren Produktwert zu zahlen.

Da sich Drechsler, Bäcker und Fleischer auf das Prinzip des produkwertäquivalenten Warentausches geeinigt haben, stellt der Drechsler noch einen zweiten Kerzenständer her, kann diesen gegen die 50 g Wurst tauschen – und hat endlich eine Wurststulle.

weiter siehe Fehlende Anerkennung individueller Arbeitszeit